Dr. Norbert Guggenbichler, Louisenstr. 19, 61348 Bad Homburg v.d.H.
Dr. Guggenbichler, Louisenstr. 19, 61348 Bad Homburg
AnHerrn Prof. Dr. Dr. LauterbachDeutscher BundestagPlatz der Republik 111011 Berlin
Offener Brief zur Forderung der Streichung von Aufwendungen für Homöopathie
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Dr. Lauterbach,
Danke für Ihre Antwort auf meine E-mail vom 13.7. 2010. Sie schrieben mir am 14.7.: „Meine Kritik richtete sich vor al em gegen den Einsatz homöopathischer Verfahren bei Schwerkranken und Kindern. Hier sind mir nicht wenige Fäl e bekannt geworden, bei denen die Homöopathie den Einsatz wirksamer Therapien verzögert oder sogar verhindert hat mit der Folge von schwerwiegenden, irreparablen Schäden für die Betroffenen.“
Schaden abzuwenden, indem man bedacht ist, wirksame Verfahren zur Anwendung zu bringen, ist sicher ein hehres Ziel.
1. Al erdings habe ich den Verdacht, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Prof. Köhler (Ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft in Schmal enberg (Sauerland) und Sachverständiger für das Bundesgesund-heitsamt sagte auf die Frage
“Wenn der Wirknachweis bei einer Therapie fehlt – Beispiel Brachytherapie –, findet sie in der Welt der EbM keine Anerkennung, was aber Voraussetzung für die Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung ist. Warum halten Sie diese Schlussfolgerung für einen Trugschluss?”
als Antwort: “Zum Glück ist das bisher nicht der Fal . Es werden zahlreiche Therapien bezahlt, für die es ebenfalls keine Beweise nach den derzeit benutzten EbM-Kriterien gibt. (Hervorhebung durch d.V.) Viele OPS-Prozeduren, die zur Anhebung der DRG-Erlöse im Krankenhausbereich geführt haben, sind in ihrer Wirkung überhaupt nicht bewiesen; manche sind sogar ziemlich offensichtlich wirkungslos oder unverhältnismäßig. Der Gesetzgeber geht hier voran, um die Innovation nicht zu bremsen. Auf der anderen Seite sol te man nach einigen Jahren Praxis fordern, vor al em teure Behandlungen auf den Prüfstand zu stel en und dann ggf. die Indikation einzuschränken oder sogar zu streichen, wenn entsprechende Daten für die Wirksamkeit nicht vorliegen oder nicht ermittelt wurden, was häufiger der Fal ist.” Frage: Was ist Ihnen bekannt hinsichtlich der geplanten Überprüfung von OPS-Prozeduren, wie es Köhler fordert? Findet eine solche Überprüfung überhaupt routinemäßig statt, und nach welchen Kriterien? Welches Einsparpotential wäre realisierbar, wenn schul- und universitätsmedizinische Therapien, deren "Wirkung nicht bewiesen, offensichtlich wirkungslos oder unverhältnismäßig" ist, aus dem Leistungskatalog der GKV gestrichen werden?
2. Die Ablehnung der Homöopathie stützt sich auf das methodische Prinzip der Doppelblindstudie. Hinsichtlich der in der EbM beliebten Reduzierung der Evidenz auf Doppelblindstudien übt Köhler scharfe Kritik. Denn nach Sacket sol ten außer der Literatur auch al e anderen verfügbaren Informationen und vor al em auch Patientenbedürfnisse mit einfließen:
“Ursprünglich war der von Sacket gewählte Ansatz ein großer Fortschritt, eben al e verfügbaren Informationen, die im Einzelfal bedeutsam sind, auch tatsächlich anzuwenden. Inzwischen hat sich die Beweisführung aber auf die verfügbare Literatur beschränkt, wobei im Zeitverlauf die Einengung noch weiter gegangen ist, denn jetzt werden fast nur noch randomisierte, kontrol ierte Studien zugelassen. Hierbei wird gerne vergessen, dass die Literatur immer nur einen Teil der Wirklichkeit widerspiegelt, denn viele wichtige Elemente sind gar nicht oder nur sehr rudimentär abgebildet. Die verfügbare Daten zeigen ganz eindeutig Schwerpunkte, beispielsweise in den Bereichen, die sich leicht messen lassen – das sind beliebte Habilitationsthemen – und in Pharmastudien, wo durch die Vorgaben der Zulassungsbehörden und durch die Interessen der Herstel er bestimmte, oft vergleichsweise unwichtige Teilge- biete extrem intensiv beforscht werden.” ( Lisa Braun: Die scheinbare Objektivität der Evidenzbasierten Medizin. Interview mit dem Mediziner Prof. Dieter Köhler. In: Gerechte Gesundheit, Der Newsletter zur Verteilungsdebatte, Ausgabe 9, Februar 2010, S. 8-10.)
Diese Kritik gewinnt an Gewicht, weil Prof. Köhler über eine gewisse Kompetenz bei gesundheitspolitischen Aussa-gen verfügt. Zugleich macht diese Kritik deutlich, dass die derzeit meistens praktizierte EbM per se wenig geeignet ist, ein Verfahren wie die Homöopathie zu bewerten, da der randomisierte doppelblinde Scheuklappenblick der Evidenz-perspektive den ganzheitlichen Ansatz der Homöopathie schwer erfassen kann. Frage: Welche gesundheitspolitische Maßnahmen sehen Sie als notwendig an, um Patientenbedürfnisse zu berücksichtigen und die intentionswidrige Einengung des Evidenzbegriffes rückgängig zu machen?
3. Es sind weltweit bisher ca. 240 placebokontrol ierte Studien zur Homöopathie erschienen. Der Entwurf eines neue- ren Berichts der Weltgesundheitsorganisation (WHO) fasst zusammen: "Die Mehrzahl der wissenschaftlichen Studien in den letzten 40 Jahren haben gezeigt, dass die Homöopathie gegenüber Placebo überlegen ist und der konventionellen Medizin in der Behandlung von Menschen und Tieren gleichgestellt werden kann." (Übersetzt aus: WHO-Draft: Homeopathy: Review and analysis of reports on control ed clinical trials. Zit. Nach: The Lancet 2005; Vol. 366: p. 705;) Frage:Sind sie sich sicher, dass die Auswahl der von Ihnen angeführten Studien mit der nötigen Sorgfalt und Ausgewogenheit erfolgt ist?
4. Hrobjartsson und Götzsche vom Nordic Cochrane Center in Kopenhagen haben festgestel t: Die Kraft der Placebos wird seit Jahrzehnten massiv überschätzt (New England Journal of Medicine getroffen (2001; 344:1594). Fast fünf Jahrzehnte hatte niemand wirklich systematisch die Effekte von Placebos untersucht. Ihr Ergebnis aus 114 über- prüften Studien: Placebos hatten bei einer Reihe von Krankheiten keine messbaren Effekte auf den Verlauf. (Koch, Klaus: Placebo: Ein Mythos wird entzaubert. Aus: Deutsches Ärzteblatt 98, Ausgabe 34-35 vom 27.08.2001, Seite A-2156 / B-1866 / C-1742)
Mittlerweile überstehen immer weniger neu entwickelte Arzneien den für die Zulassung erforderlichen Test "Placebo gegen Verum". Selbst als Standard verordnete schulmedizinische Mittel wie Valium oder Prozac versagen in Doppel-blindstudien. („Placebos Are Getting More Effective. Drugmakers Are Desperate to Know Why.“ Steve Silberman, Wired Magazine 17/2009, http://www.wired.com/medtech/drugs/magazine/17-09/ff_placebo_effect?currentPage=al )
Fragen: Welche gesundheits- und forschungspolitischen Konsequenzen halten Sie für nötig hinsichtlich des offensichtlichen Erklärungsnotstandes hinsichtlich der Wirkungsweise, dem auch schulmedizinische Medika- mente unterliegen? Welche Lösungsansätze schlagen Sie vor für das Problem, dass offenkundig auch zahlreiche schulmedizini- sche Therapieansätze stark überbewertet sind und die in sie gesetzten Erwartungen in vielfacher Hinsicht nicht erfüllen können?
Ich bitte Sie, al es im Rahmen Ihrer Möglichkeiten zu tun, diese Fragen in einer für die Öffentlichkeit und die Al ge-meinheit befriedigenden Weise zu beantworten, gerade auch im Hinblick auf eine stetige Verbesserung der medizi-nischen Betreuung unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Dieses ist zwar definitorisch überarbeitungsbedürftig, sol te aber im Sinne einer verantwortbaren Gegenfinanzierung des medizinischen Nutzens als ständige Heraus-forderung für al e Teilnehmer im Gesundheitswesen gelten, die Beitragszahler einschließlich deren Organisationen als auch die Seite der beitragsempfangenden Medizingeräte- und Pharmaindustrie und der Therapeuten und ihrer Hilfs-kräfte, was aus meiner Sicht leider nicht der Fal ist. Im Klartext: Nicht wenige meiner Patienten ( sowohl gesetzlich als auch privat Versicherte) sagen mir, dass sie für ihre als sehr hoch empfundenen Beiträge keine Kostenübernahme für medizinische Betreuung erfahren, die sie als adäquat betrachten.
Dr. N. Guggenbichler, Louisenstr. 19, D-61348 Bad Homburg v.d.H., Tel. 06172-24760, Fax 06172-25443
AWMF online - Leitlinie Sucht: alkoholbezogene Störungen A rbeitsgemeinschaft der W issenschaftlichen M edizinischen F achgesellschaften Leitlinien der Dt. Ges. f. Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht) und der Dt. Ges. f. Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) AWMF-Leitlinien-Register Nr. 076/001 Entwicklungsstufe: 2 Zitierbare Quelle: SUCHT 49
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