Bekennen im Film – Gedanken und Thesen, SEK-Frauenkonferenz am 4. April 2011
Einleitende Bemerkungen Ich habe diesen Workshop gerne zugesagt, nur dann stand ich vor der Frage: Was mach ich
eigentlich? „Bekennen im Film“, „Bekenntnisszenen im Kino“, was ist das? Das Standardbekenntnis im Kino lautet natürlich „I love you!“ In der Regel kommt es „völ ig
überraschend“ kurz vor Ende eines Films, in dem sich die beiden Hauptfiguren ständig
verpassten, bis sie das „happy end“ endlich zusammenführt. Und dann gibt es natürlich das Schuldbekenntnis, auf das Familienmelodramen und Krimis
zusteuern. Auch dieses ist gerne in der letzten Viertelstunde angesiedelt; von ihm her erklärt
sich das Übel der Welt oder wenigstens des Films, den es abschliesst. Eine ganze Filmhandlung tragen kann das Bekenntnis zu Menschlichkeit in einer
entmenschlichten Welt. Dieses wird in der Regel durch entschlossene Männer in düsteren
Zeiten weniger verbal abgelegt als handelnd durchgezogen. Ein Klassiker solcher Filme ist
„Schindlers Liste“ (Stephen Spielberg 1993), ich denke aber auch an „John Rabe“ (Florian
Gal enberger 2009). Religiöse Bekenntnisse dagegen finde ich seltener im Kino. Oder viel eicht sol te ich sagen,
dass sie subtiler inszeniert sind als die bisher benannten Formen des Bekennens. (Grosse
Ausnahme ist hier wohl einer der Lieblinge des religiösen Heldenfilms: Luther, zuletzt in dem
gleichnamigen Film von Eric Til 2003, sowie natürlich der gesamte Bereich des Bibel- und
Jesusfilms). Insgesamt erscheinen mir die religiösen Bekenntnisse am interessantesten und ich habe
mich für diesen Workshop auf die Suche nach ihnen gemacht. Bei Filmauswahl bin ich
erstaunlich schnel auf Filme gestossen, die sich um eine oder mehrere weibliche
Hauptfiguren drehen. In die engere Auswahl sind nun drei Filme gekommen, die je eine eigene Handschrift tragen,
sich jedoch in manchen Motiven sehr nahe kommen.
Bekennen als Reaktion auf „Druck“ von aussen. Differenz zu gesel schaftlichem
o Macht das Bekennen zur Aussenseiterin oder offenbart sich in ihm das
religiöses Bekennen und politisches Positionieren kann nahe beieinander liegen
Kriegs- und andere Ausnahmezustände als Subtext.
religiöses Bekennen impliziert kulturel e Zuschreibungen und wird körperlich sichtbar
Spannung zwischen individuel em Bekennen und dem Sich-Einordnen in eine
grössere (Bekenntnis-)Gemeinschaft / Konfession. Filmtitel tragen Frauennamen (analog zu „Schindler’s List“ oder „Luther“).
Sophie Scholl – Die letzten Tage. (D 2005, Regie: Marc Rothemund)
Grbavica (dt. Titel: Esmas Geheimnis, Bosnien Herzegowina/Österreich u.a. 2006, Regie:
Yasmin (GB 2004, Regie: Kenny Glenaan)
Bekennen im Film, Workshop Christine Stark, Filmbeauftragte der Reformierten Medien, 4. April 2011
Ich habe die drei Beispiel historisch sortiert, d.h. nach der historischen Verortung ihrer Story. Beginnen möchte ich mit einem deutschen Film aus dem Jahr 2005, Regie Marc
Rothemund: Sophie Scholl – Die letzten Tage. (Silberne Bären für Regie und Beste Darstel erin sowie Preis der Ökumenischen Jury auf der Berlinale 2005) Der Film schildert die letzten fünf Lebenstage der Studentin Sophie Schol , die am 22.
Februar 1943 gemeinsam mit ihrem Bruder Hans sowie dem gemeinsamen Freund
Christoph Probst wegen der Verbreitung „wehrkraft-zersetzender“ Flugblätter hingerichtet
wurde. Der Film basiert auf Gerichtsakten und Aufzeichnungen u.a. des Gefängnispfarrers.
Viele Dialogzeilen haben quasi-dokumentarischen Charakter oder wenigstens diesen
Anspruch, wenn auch der Film selbstverständlich einem Drehbuch folgt. In gewisser Hinsicht
kann der Film auch als Passionsfilm bezeichnet werden, was einen weiteren wichtigen
Aspekt des Bekennens andeutet: Das Martyrium / Zeugnis. Die Ausschnitte zeigen Sophie im Gespräch mit dem sie vernehmenden Beamten Mohr.
Minute 42.30 ff.: Nachdem sie sich fast durch gute Lügen und die Behauptung
unpolitisch zu sein herausgeredet hat, kommt belastendes Material (unnormal viele
Briefmarken sowie Fingerabdrücke ihres Bruders an Vervielfältigungsmaschinen in
einem Raum, zu dem sie die Schlüssel besitzt) zu Tage. Ebenso konfrontiert Mohr sie
mit dem Geständnis ihres Bruders Hans. Schlagartig entscheidet sich Sophie dazu,
zu ihren Taten zu stehen – wohlwissend, dass ihr damit die Todesstrafe droht. Mit
dem Satz „Und ich bin stolz darauf.“ übernimmt sie ebenfal s die Verantwortung. Minute 1.05.30 ff.: Mohr versucht Sophie davon zu überzeugen, welche Wohltat
Führer und Nationalsozialismus für das deutsche Volk und Europa sind. Sophie
konfrontiert ihrerseits Mohr mit ihrem Wissen über Nazigräuel und die militärische
kritische Lage an der Ostfront. Für ihr Handeln beruft sie sich auf ihr Gewissen und
Gott. Mohr ist entgeistert, auch dass Sophie sich nicht als blosse Mitläuferin
herausreden möchte. Sie gewinnt im Laufe dieser Auseinandersetzung an Haltung
Interpretatorische Anmerkungen zum Film: 1) Eine feministisch interessante Frage ist, warum der Film derart auf Sophie fokussiert.
Denn auch von Hans Schol sind Protokol notizen etc. vorhanden. Ist es die Sehnsucht nach
Heldinnen und weiblichen Heiligen? 2) Was der Film (in D) geleistet hat, ist dass er die christliche Grundierung der Handlungen
und der Haltung der Geschwister Schol in Erinnerung rief bzw. bei vielen erst ins
Bewusstsein brachte. Im beginnenden neuen Jahrtausend ist Kirchlichkeit oder konkreter
Verwurzelung im christlichen Glauben als Maxime des politischen und ethischen Handelns
unbekannt und fast schon fremd. Hier ist eine politische Heldin plötzlich als glaubender,
zweifelnder und doch wieder bekennender Mensch gezeigt. Dies bewegt, ohne kitschig zu
Bekennen im Film, Workshop Christine Stark, Filmbeauftragte der Reformierten Medien, 4. April 2011
Heutzutage ist es in der Politik und entsprechend auf der Leinwand eine andere Religion, die
die Gemüter bewegt: Der Islam. Er erscheint auch den meisten Menschen viel eher als
Bekenntnisreligion denn das Christentum (das in der westeuropäischen und
nordamerikanischen Mainstreamgesel schaft als ein Community-Aspekt unter anderen
angesehen werden kann; Ausnahme freilich evangelikale Kreise.) Der Islam jedoch ist bereits vor den Anschlägen des 11. Septembers mit dem
Separationskriegen im ehemaligen Jugoslawien als Gegenüber, ja auch als Gegner ins
Bewusstsein gerückt. Zur Verarbeitung der verschiedenen nationalen Traumata, die die Kriege zwischen 1991 und
1999 hinterlassen haben, gehört selbstverständlich auch das Kino. Herausragend ist hier der
Film Grbavica der Bosnierin Jasmila Žbanić, der 2006 in Berlin sowohl den Goldenen Bären als auch den Preis der Ökumenischen Jury gewann. Er erzählt eine Mutter-Tochter-Geschichte in Grbavica, einem Stadtteil von Sarajevo, der
auch als Chiffre für die Gräuel des Krieges gelten kann. Die al einerziehende Esma (dt. Titel
„Esmas Geheimnis“) kann das Geld für einen Schulausflug ihrer Tochter Sara kaum aufbringen. Diese denkt, ihr Vater sei als Held (Shaheed, Freiheitskämpfer) gefal en,
weswegen ihr staatliche Gelder zustünden. In Wirklichkeit jedoch wurde sie in einem der
berüchtigten Vergewaltigungslager durch einen Serben gezeugt. Da die Mutter mehrmals am
Tag von mehrer Männern vergewaltigt wurde, kann sie nicht wissen, wer der Vater ist. Diese
Schande wil ihre Mutter vor ihr verbergen. Die Mutter selbst besucht Frauentreffen, um ihr
Trauma aufzuarbeiten, findet dort aber lange keine Worte für das, was ihr wiederfahren ist. Schliesslich nötigt Sara ihre Mutter ihr zu sagen, was denn nun mit ihrem Vater ist und
warum sie die Unterstützungsgelder nicht erhalten. In ihrem ersten Schock rasiert sich Sara
(stel vertretend für ihre Mutter? Aus Scham? Als Schandzeichen? Aus Solidarität) den Kopf
kahl. Ihr Schulfreund und erste Liebe verstösst sie dennoch nicht – eine rührende Szene
über Kinder / Jugendliche in einem kriegsversehrten Land. In der Schlussszene bringt Esma
ihre Tochter zum Ausflugsbus, beide stolzerhobenen Hauptes. Interpretatorische Anmerkungen:
o Esma bekennt ihr schlimmes Geheimnis (Schuldbekenntnis)
o Sara bekennt sich mit ihrer Frisur zu ihrer Herkunft! (öffentliches Bekenntnis)
o Sara singt mit zum Ausflugsbeginn ihren Schulkol eg/innen ein bosnisches
Volkslied, eine Art informel e Hymne. (politisches Bekennen)
Die Religion spielt keine eigentliche Rol e in diesem Film. Und doch ist sie durch den
Subtext des Bosnienkrieges von 1992–1995 präsent, der durch ethnische
Auseinandersetzungen, völkermordartige „Säuberungen“ und die berüchtigten
Vergewaltigungslager geprägt war, die Kampflinie verlief zwischen bosnischen
Muslimen und serbischen Christen. Der Film hat zugleich selbst Bekenntnischarakter:
o Die Regisseurin löste mit ihrer Geschichte darüber, dass
Vergewaltigungsopfer nicht als Kriegsopfer anerkannt waren und finanziel
nicht unterstützt wurden, eine politische Diskussion in Bosnien aus! Diese
mündete schliesslich in eine Gesetzesänderung.
o Mit der Besetzung der Hauptfigur durch die prominente serbische (!)
Darstel erin Mirjana Karanovic bezieht die Regisseurin Position in einer immer
noch von ethnischen Debatten gestörten Gesel schaft. (Der Film wurde in
einigen Gegenden Bosniens und in Serbien nicht gezeigt, Kinos wurden
angezündet oder mit Anschlägen bedroht!)
Bekennen im Film, Workshop Christine Stark, Filmbeauftragte der Reformierten Medien, 4. April 2011
Schliesslich möchte ich noch einen Film vorstel en, der auf die Anschläge des 11.
Septembers Bezug nimmt bzw. seine Handlung paral el zu ihnen erzählt. Auch hier
wieder ein Frauenname im Titel: Yasmin, Kenny Glenaan, GB 2004, Preis der Ökumenischen Jury in Locarno 2004. Gezeigte Szenen:
Anfang bis Min 04.50: Yasmins Vater und Bruder gehen in die Moschee, der Bruder
singt „Al ah ist gross“ über die Lautsprecher ins pakistanische Viertel einer
nordenglischen Stadt. Yasmin zieht sich an einem Feldweg um: Unter ihrem
schwarzen Mantel und Kopftuch erscheint eine westliche junge Frau mit enger Jeans
und körperbetontem T-Shirt. Sie steigt in ihren neuen Golf und fährt stolz zur Arbeit,
wo sie von ihrem Kol egen John wegen des Autos hochgenommen wird. (Die beiden
sind ineinander verliebt, kommen aber im Verlauf der Handlung nicht zueinander, u.a.
weil Yasmin mit ihrem pakistanischen Cousin, der kein Wort Englisch spricht,
verheiratet wurde.) Min 1.00.00 ff.: Da ihr Mann, den sie eigentlich los werden möchte, im Anschluss an
die Anschläge in den USA verhaftet wurde, macht sich Yasmin auf den Weg ins
Gefängnis, um ihn zu besuchen, aber auch damit er die Scheidungspapiere
unterschreibt. Dort wird sie wider ihren Wil en festgehalten und inhaftiert, sie ist
(genauso wie ihr Mann) Opfer der Antiterrorhysterie, die den britischen Staatsapparat
erfasst hat. In ihrer Zel e blättert Yasmin in einem Koran – aus Langeweile?
Einsamkeit? Interesse? Min 1.14.30 ff.: Yasmins Bruder möchte sich Fundamentalisten anschliessen und
verabschiedet sich, weil er in ein „Trainingslager“ in Pakistan gehen wird. Er hat sich
stark verändert: Kein „normaler“ Teenager, der ab und zu mit Hasch handelt, sondern
ein traditionel gekleideter Junge, glatt rasiert mit ernsthaftem Gesichtsausdruck. Er
wil ihren Segen – sie verurteilt seinen Schritt in Richtung Gewalt und erwidert „Du
egoistischer Idiot“. Zuletzt sehen wir Yasmin durch ein Einkaufszentrum schlendern.
Sie stösst zufäl ig mit John zusammen, eine etwas peinliche Begegnung, die sie
jedoch meistert. Auf Johns Vorschlag, zusammen etwas trinken zu gehen, sagt sie,
sie sei gerade auf dem Weg in die Moschee, ob John mitkäme. Was dieser zunächst
als Witz abtut. Die beiden werden sich wohl nicht wieder sehen. Yasmin geht in
einem bunten Sari gewandet ihrer Wege. (Der Film endet bald nach dieser Szene.
Am Schluss ist zu sehen, wie Yasmins Vater eine Kassette für den Lautsprecher mit
dem Gebetsgesang einlegt, denn sein Sohn ist ja mit unbekanntem Ziel abgereist.
Die Gestaltung zeigt in einfachen Bildern die grosser Veränderungen und
Erschütterungen zwischen Filmanfang und –ende.)
Wesentlich dienen hier die Kleider und das öffentliche Verhalten dem Bekennen:
Yasmin wechselt zweimal am Tag ihr komplettes Outfit, um zwischen ihrem
pakistanischen Viertel und ihrem Arbeitsplatz zu pendeln. Ebenso ist ihr Bruder
anfangs von einem westlichen Lebensstil geprägt, er muss als Mann freilich kein
Versteckspiel spielen. Beide Geschwister werden aufgrund der Ausgrenzung der „Fremden“ in England
nach den Anschlägen des 11. Septembers auf ihre muslimischen Wurzeln gestossen.
Yasmin findet sich unfreiwil ig mit einem Koran in einer Zel e eingesperrt, ihr Bruder
wird von Islamisten, die im Viertel Hasspredigen verteilen, fasziniert und „bekehrt“. Das Bekennen ist wiederum mehrfach zu entdecken: Yasmin – und dies ist äusserst
wichtig – entdeckt zwar den Koran / Islam für sich. Bekennt sich aber äusserlich zu
ihrer kulturel en Herkunft! Sie trägt am Ende einen bunten Sari, kein schwarzes
Bekennen im Film, Workshop Christine Stark, Filmbeauftragte der Reformierten Medien, 4. April 2011
Die ausgewählten Filme und Szenen stel en das Bekennen in einen grösseren
Kontext. Es ist zwar ein individuel er, aber kein bloss privater Akt. Die je verschiedenen Kontexte sind auf ihre Weise von Gewalt, Bedrohung,
gesel schaftlicher Segregation geprägt. Es stehen Frauen im Zentrum der Filmhandlung, die durch ihre Haltungen und
Handlungen mit den sie umgebenden Gesel schaften in Konflikte geraten. Sie entscheiden sich jedoch für eine bestimmte Haltung, auch wenn diese mit
Schwierigkeiten oder gar dem Tod bedroht ist. Die Haltungen werden äusserlich sichtbar: Kleidung und Körper dienen als
Erkennungszeichen eines Bekenntnisses. (Dies muss keineswegs auf den weiblichen
Körper beschränkt sein, wie das Filmbeispiel „Yasmin“ zeigt.) Die Filmfiguren sind freilich echte Kinoheldinnen, Ausnahmefiguren, Idealgestalten.
Dennoch wird an ihnen etwas durchgespielt, das mir erst in der konkreten
Beschäftigung mit diesem Workshop in dieser Dichte bewusst wurde: Bekennen ist
kein privater Akt – er verbindet persönliche Überzeugung mit der Haltung gegenüber
gesel schaftlichen Fragen und Problemen und wird durch Handlungen sichtbar.
Christine Stark, Workshop „Bekennen im Film“ im Rahmen der SEK-Frauenkonferenz am 4.April 2011
Bekennen im Film, Workshop Christine Stark, Filmbeauftragte der Reformierten Medien, 4. April 2011
Breastfeeding One of the biggest decisions a new mom has to make is whether or not to breastfeed. The benefits of breast milk include its antibodies that help protect babies from SIDS, illness, and germs, according to the U.S. Department of Health & Human Services. Infant formula is unable to exactly match the chemical makeup of breast milk -- particularly human milk's disease-fight